SOFT ERSATZ

Lasst uns soft sein. Lasst uns moderne Filme, Musik und Architekturen als etwas vorstellen, das man aus reflektierenden Thermofolien und billigem Plastik saugen kann, wie superschnelle, superweiche Drogen, die nur für den Bruchteil von Sekunden wirken und futuristische, poppige Namen tragen wie soft hate oder soft ersatz. Ursula Döbereiners Installationen und Collagen greifen oberflächliche Eindrücke einer Moderne auf, die nicht mehr objektiv, sondern nur als gefühlte Temperatur wahrgenommen werden kann - Werbungen von Fassaden, Geschäften, Internet- Cafes, Titel von elektronischen Bands wie Cluster oder White Noise, industriell normierte Farben von PVC-Säcken und Schutzfolien, Slogans aus Spam- Mails, die auffordern Pillen zu schlucken oder Omega Uhren zu kaufen. Visuelle, alltägliche Erfahrungen wie Geschwindigkeit, Rhythmus und Tiefe transformieren sich zu modularen Kompositionen, die ebenso als buchstäbliche wie auch strukturelle Texte verstanden werden können: eine Mülltüte ist eine Mülltüte ist eine Mülltüte.

Döbereiner erweitert das Medium Zeichnung in die Dreidimensionalität, indem sie Bilder, Materialien, Linien und Zeichen in Ebenen übereinander schichtet – zu abstrakten Architekturen, die man visuell „lesen“ kann - wie eine urbane Landschaft, einen Film, oder ein Magazin, das man beiläufig durchblättert. Take Pills: Wer sie schluckt, spürt die beinahe romantische Energie, die durch vermeintlich „kalte“ oder „banale“ Oberflächen strahlt. Durch die ausgesparten oder mit Spiegelfolien unterlegten Leerstellen schimmern die Signalfarben und antikapitalistischen Parolen Jean-Luc Godards, das Silber von Warhols Factory, die hermetisch-kubistische Sprache Gertrude Steins, die artifizielle Attitüde von frühem Punk. Reminiszenzen an progressive Strömungen des 20. Jahrhunderts erscheinen bei Döbereiner als Nachbilder, Denkmuster oder Schablonen, die sich wie ein soft touch in die Netzhaut einbrennen.

Zugleich evozieren ihre Collagen und Folien-Installationen heutige, globale Massenkultur, die jede Form von Avantgarde blitzschnell assimiliert, in der die Unterschiede zwischen „High“ und „Low“ radikal fallen. Moden, Diskurse, Kunst- Design- und Musikströmungen werden vermarktet, bevor sie überhaupt produziert sind. Auf den Strassen zwischen Neukölln, Riga und Bangkok setzen nicht Originale, sondern Surrogate Trends. Zugleich zieht sich die Kunst in Galerien und Museen zurück, die wie noble Boutiquen geführt werden, oder bezieht gleich die Schaufenster von Luxusdesignern, um ihre Exklusivität zu behaupten. Bei Döbereiner führt der Trip hingegen durch Einkaufspassagen, Baumärkte und 99 Cent Shops, zu normierten, „arme“ Materialien, die sie kombiniert und dabei mit formalen und gesellschaftlichen Fragestellungen verbindet. Die Moderne, die sich in Ebenen aus Computer-Plots und glitzernden Folien reflektiert, trägt dabei durchaus psychedelische Züge. Das Auge des Betrachters springt von glänzenden zu stumpfen Materialien, von Fläche zu Tiefe, von Monochromie zu All –Over. Dazwischen liegen die Abgründe einer Zeit, in der die eitle Postmoderne längst von einer Psychomoderne abgelöst wurde. Während die globalen Märkte von kollektiven Gefühlsschwankungen und Zukunftsängsten abhängen, muss sich auch die Ökonomie der Kunst ändern. In harten Zeiten geht Döbereiner mit gutem Beispiel voran und erzeugt Arbeiten, die gleichzeitig aufklärerisch und halluzinogen sind, die high machen, gerade weil sie so nüchtern sind.

Oliver Koerner von Gustorf