Tschthinzscht. Urban

Die Ausstellungsreihe Tschthinzscht zeigt Zeichnungen und Collagen von Künstlerinnen der Gegenwart sowie eine Auswahl grafischer Arbeiten aus dem Bestand des dkw. Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus. Diese konzentrierte Gruppierung versammelt unter schiedlichste Arten künstlerischen Ausdrucks, die sich vielfaltig aufeinander beziehen.

Eine Ausstellung in Kooperation mit der BTU Cottbus-Senftenberg, Fakultät für Architektur, Bauingenieurswesen und Stadtplanung, Lehrstuhl für Plastisches Gestalten. Kuratiert von Eva-Maria Wilde und Ulrike Kremeier.



KOTTI in Cottbus

Über ein weißes Rechteck ziehen sich feine dunkle Bleistiftlinien. Einzelne Worte sind erkennbar, andere erscheinen spiegelverkehrt oder sind gänzlich unlesbar. Vor diesen Textfragmenten in Kapitallettern hüpfen, so scheint es, menschenähnliche Figuren mit Fühlern am Kopf. Was anmutet wie Fiktion ist doch die Wiedergabe der Konturen realer städtischer Szenen. Jede Linie ist mit einer Nummer versehen, welche je einen Hinweis auf ihren Ursprung darstellt. kotti 1308.1h gehört zu Ursula Döbereiners Serie KOTTI, die in Form von sechs Zeichnungen Teil der Cottbuser Ausstellung „Tschthinzscht. Urban II.“ ist. Wobei die Bezeichnung „Serie“ bei eingehender Analyse von KOTTI irreführend erscheint, da diese Bleistiftzeichnungen weder den Endpunkt eines Arbeitsprozesses markieren noch die einzige Erscheinungsform von KOTTI darstellen.

Das Generieren der Datensammlung beginnt mit der Beobachtung. Die Künstlerin erkundet mit der Kamera ihr unmittelbares Umfeld – die Umgebung des Kottbusser Tor in Berlin, Kreuzberg. Im Moment der visuellen Aufzeichnung interessiert sich Döbereiner für den realen urbanen Raum, für die Charakteristika seiner gesellschaftlichen Inanspruchnahme sowie die Kennzeichen gerichteter und ungerichteter Umwandlungsprozesse. Mit dem Moment der Weiterverarbeitung dieser Motive im Atelier, rücken jedoch Problemstellungen der grafischen Form, Medialität bzw. Materialität in den Fokus. Die gesammelten Fotografien zeichnet Döbereiner am Computer ab und legt diese übereinander. Diese Schichtungen von Informationen ergeben zwar feste Datenverbände von Einsen und Nullen, sind jedoch nicht festgelegt auf eine endgültige Erscheinungsform. So entsteht eine Art Quelltext für eine nicht definierbare Anzahl an gestalterischen Möglichkeiten.

Die Variation der visuellen Erscheinung korreliert jedoch nicht nur mit dem Gerüst aus Hardware und Software, das sie dem Betrachtenden zur Verfügung stellt. So war KOTTI in Form von Animationen auf Computerscreens in Installationen integriert, aber auch als Ausdrucke mit denen ganze Räume tapeziert waren. Solche Tapeten sowie auch die Zeichnungen, die in der Ausstellung im dkw. präsentiert sind, verhalten sich konträr zu der multiplen Virtualität der digitalen Version KOTTIs. Eine Handzeichnung, mehr noch als der Druck, ist in ihrer Erscheinung nicht nur konkret und zweidimensional, sondern auch einzigartig. Diese verschiedenen Erscheinungsformen demonstrieren das Transformieren räumlicher Szenerien in unterschiedlichen Medien. Ob man sich in einem realen Raum bewegt, eine Raumanimation am Bildschirm anschaut oder eine zeichnerische Darstellung davon betrachtet, ändert maßgeblich auch die Art und Weise wie man diesen Raum wahrnimmt.

Die Zeichnungen der Ausstellung sind einzig hinter Glasscheiben angebracht. Dadurch heben sie sich nur marginal von den weißen Wänden ab. Zudem sind sie überzogen von Klebebändern die verschiedene Linien der Zeichnungen aufnehmen und über den Bildrand hinaus führen und schließlich in einem Netz aus Linien den gesamten Raum überziehen. Die Linienführung mit den Klebebändern funktioniert ähnlich wie die am PC. Einzelne Punkte werden durch Geraden verbunden und ergeben in ihrer Summe eine Form. Die Fortführung der Zeichnung auf der Wand ergibt ein Raster welches die Werke der gesamten Gruppenausstellung homogen miteinander verbindet.

So zieht sich auf der Wand eine orangene Linie von dem kleinformatigen kotti 1308.3a zum größeren kotti 1308.1h zu Hermann Glöckners Collage Packpapier in Braun und Weiß, darüber Faltung (1960/62) und endet schließlich bei kotti 1308.1f. Glöckners Arbeit ist geprägt von einem gezielten Umgang mit dem Material und der Umsetzung von Räumlichem im Bild. Zeigt Glöckner mit seinen Faltungen in Schwarz - beige Aufgipfelung vor Violett (1973/76) das Potenzial der papieren Fläche auch Objekt zu sein, also ein Changieren zwischen Ebene und Raum, so verweist Döbereiner mit ihrem Liniennetz auf den Raum selbst. Die Klebebandstrukturen verhalten sich entgegen den klaren Raumkanten und Ecken und machen deutlich, dass auch dieser Raum eine Konstruktion ist.

Sabrina Kotzian